Ich habe diese Frau, die mir so ans Herz gewachsen ist, nur einmal gesehen. Damals entschuldigte sie sich für ihr Aussehen, sie hätte erst hätte erst morgen einen Friseurtermin. Sie jätete Unkraut im Vorgarten. Als mir mein Mann, dessen Kundin sie war, sagte, dass sie 95 Jahre alt sei, wollte ich es kaum glauben. Wenig später brachte er mir Bilder mit, die sie gemalt hatte, Blumenmotive, von denen ich mir eins aussuchen durfte. Es hängt heute noch in unserem Wohnzimmer. Sie starb zwei Jahre später. Mein Mann hatte sie kurz vor ihrem Tod noch in der Gegend herumgefahren, weil sie glaubte, zu einer Familienfeier eingeladen zu sein. Mein Mann ist Handwerker, er hat in ihrem Haus vieles gerichtet, aber ich bin der festen Überzeugung, dass er ihr mehr bedeutete. Es dauerte über ein Jahr, bis ihr Haus geräumt wurde, weil es verkauft werden sollte. Ihre Tochter bot uns an, ihre übrigen Bilder und Bücher an uns zu nehmen, vielleicht ließe sich in der Buchhandlung, in der unser Sohn arbeitet, noch etwas verkaufen. Wir sagten gern zu. Seitdem hängen vier Bilder von ihr in unserer Wohnung. Ich habe die Bücher, die wir über Nacht in unseren Keller gebracht haben, geordnet. Ich habe die Frau nur einmal gesehen, doch ich kenne ihr ganzes Leben. Manchmal verschenke ich ein Buch, wenn ich weiß, dass ich jemandem eine Freude damit mache. Aber ich glaube nicht, dass ich ihre Bücher verkaufen werde, ehe ich sie gelesen habe. Und das wird bestimmt mein ganzes Leben dauern.